Diskurs und Ökonomie – Teil 6: Klettertour und Basislager
Nach dem Bildfeld des Mythisch-Okkulten (Zombiebanken), des Medizinischen (Virus), der Technologie (Kernschmelze) sowie der Mobilität (Gaspedal und Handbremse), soll heute ein vergleichsweise harmlos erscheinender Bildervorrat des Ökonomischen Erwähnung finden – jener des Alpinismus und allgemeiner des Extremsports. Ein schönes Beispiel hierfür liefert der ARD Börsenblog vom 22.4.2015 (http://blogs.hr-online.de/boersenblog/2015/04/22/ab-ins-basislager/):
„Am Berg ist es wie an der Börse. So eine Kraxeltour ist anstrengend, macht den Freunden des Alpinismus aber Spaß. Je höher es geht, desto mehr ist der Profi gefragt. 8.000er sind dann nur noch mit Sauerstoffgerät zu bezwingen, außer von Extremsportlern. An der Börse sind 12.000 Dax-Punkte die 8.000 Höhenmeter, und das Sauerstoffgerät heißt “Draghi”. Nach der Kursrally der vergangenen Wochen scheint so manchem Anleger die Puste ausgegangen zu sein. […] Die harten Daten, von den Auftragseingängen bis zur Industrieproduktion haben es schon gezeigt. Nun ziehen Anleger mit ihrer Einschätzung nach. Ob es für die Kurse eine weitere Klettertour bedeutet oder einen Abstieg ins Basislager, hängt von der laufenden Bilanzsaison ab.“
Die Leichtigkeit, mit welcher der Bildbereich des Alpinismus für die Darstellung der Börsenlage genutzt werden kann, verweist im semiotischen Sinn auf die Motiviertheit als Spezifik des Symbols in mögliche Abgrenzung zur Arbitrarität der Metapher. Die primäre Bedeutung (die Anstrengung des Aufstiegs, die Professionalität, die ‚dünne Luft‘) bleibt auch in der Übertragung lebendig. Im Bereich der Metaphorik wird hingegen die wörtliche Bedeutung durch die Übertragene ersetzt (Achilles ist kein Löwe, sondern nur wie ein Löwe). Der Börsenhändler ist in diesem Sinne ein Alpinist – er kraxelt, ihm geht die Puste aus, er braucht ein Sauerstoffgerät.
Was dann an dieser Symbolik weiter interessant erscheint, ist die Individualisierung und die damit verbundene existenzielle Dimension des Börsengeschehens: Manchen geht die Puste aus, andere schaffen es auch ohne Sauerstoffgerät, das Klettern bringt Spaß, die dünne Luft ist nur etwas für Profis. Damit ist mit dem Alpinismus auch jene spezifische Semantik des Thrills verbunden, welche als charakteristisch für die diskursive Bearbeitung der Ökonomie und insbesondere des Börsengeschehens erscheint (instruktiv hierzu ist das Buch von Urs Stäheli: ‚Spektakuläre Spekulation – das Populäre der Ökonomie‘) und – auch im ideologischen Sinne – einen Gutteil der Attraktivität des Geschehens für das ‚Publikum‘ auszumachen scheint: Hier muss man bestehen, hier kann man Gipfel stürmen, hier sind Profis gefragt, hier kann man aber auch Scheitern.